Zeitpolitik
Die zentralen Trends und Entwicklungen in der Arbeitswelt erfordern zur Sicherung einer ausreichenden Fachkräftebasis nicht zuletzt, alle verfügbaren Personal- und Zeitreserven zu mobilisieren. Dafür besteht eine volkswirtschaftliche und betriebliche Notwendigkeit. Sie geht einher mit der Herausforderung, flexibel auf Entwicklungen zu reagieren und schnelle Lösungen in komplexen Sachverhalten zu finden.
Gleichzeitig zeigt sich allerdings ein ebenso starker Gegentrend auf gesellschaftlicher und individueller Ebene. Beschäftigte fordern angesichts der zunehmenden Komplexität und Beschleunigung des Arbeitens und Lebens und einer Lebensarbeitszeit von 40 – 45 Jahren zunehmend eine Balance zwischen ihren privaten und beruflichen Belangen ein. Dies trifft insbesondere auf die jüngere Generation zu. Individuelle Lösungen sind gefragt, die nicht zuletzt auch Phasen der Arbeitszeitreduktion und -flexibilisierung bedeuten. Hinzu kommt das Bedürfnis nach verlässlichen, stabilen zeitlichen Rahmenbedingungen. Es kommt zu einem Spannungsfeld zwischen Stabilität und Flexibilität, das es auf beiden Seiten auszutarieren gilt, und zu einem nicht zu unterschätzenden Zielkonflikt in der Zeitpolitik zwischen betrieblichen und individuellen Zielen. Inwieweit die Digitalisierung dazu beitragen kann, diesen Konflikt zu entschärfen oder ihn ggf. noch befördern wird, ist vom heutigen Stand aus noch nicht vorhersehbar.
Auch wenn es in zahlreichen Unternehmen bereits flexible Modelle in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsort gibt, wird derzeit der Zielkonflikt in der Zeitpolitik noch nicht ausreichend thematisiert und in den entsprechenden Modellen berücksichtigt. Es gilt, gleichermaßen an der unternehmensorientierten Flexibilisierung als auch an der mitarbeiterorientierten Flexibilisierung zu arbeiten, um die Fachkräftebasis zu sichern. Dazu ist es unerlässlich, auch die Sozialpartner ins Boot zu holen, da es einer Anpassung der bestehenden Gesetze und Vereinbarungen bedarf, die viel stärker als bisher den Grundgedanken der Individualisierung berücksichtigt. Wichtig ist, dass sich beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen sowie Arbeitnehmer – aufeinander zu bewegen und offen das Gespräch suchen, um Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten tragbar sind und den jeweiligen Zwängen und Bedürfnissen gerecht werden. Dafür sind nicht selten auch Kompromisse im Sinne einer konsensorientierten Unternehmenskultur erforderlich.